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Gewalt in der ambulanten Pflege: Wie Pflegekräfte sich schützen können

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Wer schützt eigentlich die Pflegekräfte?

Die jüngsten Enthüllungen des „Team Wallraff“ haben erneut erschütternde Zustände in deutschen Pflegeeinrichtungen ans Licht gebracht. In einer psychiatrischen Einrichtung wurde ein junger Mann mit Autismus über Stunden fixiert und von überfordertem Personal misshandelt. Diese Szenen zeigen die Schattenseiten eines Systems, das unter Personalmangel und strukturellen Defiziten leidet.

Während der Fokus oft auf der Gewalt gegenüber Pflegebedürftigen liegt, wird ein anderer Aspekt häufig übersehen: die Gewalt, die Pflegekräfte selbst erfahren. In der „Team Wallraff“-Reportage wurde deutlich, dass auch die Pflegekräfte Opfer von Aggressionen und Übergriffen durch den jungen pflegebedürftigen Mann wurden. 

Gewalt gegen Pflegekräfte: Ein unterschätztes Problem¹

Eine Studie des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung (DIP) in Zusammenarbeit mit der B. Braun-Stiftung zeigt alarmierende Zahlen:

  • Fast jeder siebte Befragte (13,7 %) berichtete, in den letzten drei Monaten Opfer von Gewalt durch Pflegebedürftige geworden zu sein.
  • Über 11 % erlebten solche Vorfälle „eher häufig“ oder „sehr häufig“.
  • Trotz dieser Erfahrungen gaben rund 80 % an, dass Gewalterlebnisse in ihren Einrichtungen selten oder nie aufgearbeitet werden.

Diese Zahlen verdeutlichen, dass Gewalt gegen Pflegekräfte kein Einzelfall ist, sondern ein strukturelles Problem darstellt.

Strategien für den Umgang mit Gewalt²

Pflegekräfte in der ambulanten Versorgung sind oft auf sich allein gestellt, ohne direkte Kollegen in Reichweite, mitten in der Häuslichkeit der Pflegebedürftigen. Gerade deshalb ist es wichtig, Strategien und Strukturen zu etablieren, die Pflegekräfte vor, während und nach Gewalterfahrungen unterstützen.

1. Gezielte Schulungen und Fortbildungen

Pflegekräfte benötigen konkrete Werkzeuge, um frühzeitig Warnsignale für Gewalt zu erkennen und angemessen darauf reagieren zu können. Zwei bewährte Ansätze bieten hier praxisnahe Unterstützung:

  • Gewaltfreie Kommunikation (nach Rosenberg): Pflegekräfte lernen, auch in angespannten Situationen eine wertschätzende, klare Sprache zu verwenden. Das hilft, Konflikte zu entschärfen und emotionale Eskalationen zu vermeiden.
  • Körperinterventionstechniken: Auch wenn körperliche Gewalt selten ist, kann das Wissen um sichere Abwehr- oder Schutztechniken (z. B. bei Greifen oder Schlagen) für mehr Handlungssicherheit sorgen.

Diese Trainings sollten regelmäßig angeboten und von allen Mitarbeitern durchgeführt werden. So entsteht ein gemeinsames Verständnis und eine einheitliche Handlungsstrategie im Team. Solche Schulungen können z.B. digital über Anbieter wie Relias erfolgen.

2. Strukturelle Verankerung in der Unternehmenskultur

Gewaltprävention sollte kein Einzelprojekt sein, sondern Teil der betrieblichen Kultur:

  • Dienstvereinbarungen: In verbindlichen Vereinbarungen werden der Umgang mit aggressivem Verhalten, Zuständigkeiten und Meldewege festgelegt.
  • Leitbild zur Gewaltfreiheit: Eine klare Haltung, die sich im Leitbild des Unternehmens widerspiegelt, schafft Orientierung für Mitarbeiter und Pflegebedürftige gleichermaßen.

3. Organisatorische Maßnahmen im Pflegealltag

Der Arbeitsalltag kann aktiv so gestaltet werden, dass Risikosituationen verringert werden:

  • Aggressionsanamnesen bei Neuaufnahmen: Mithilfe strukturierter Fragebögen kann eingeschätzt werden, ob bei der zu betreuenden Person bereits aggressive Verhaltensweisen bekannt sind.
  • Anpassung der Tourenplanung: Potenziell belastende Einsätze werden – soweit möglich – an das Ende der Tour gelegt, sodass zusätzliche Kräfte bei Bedarf unterstützen können.
  • Notfalllösungen: Pflegekräfte müssen wissen, an wen sie sich im Ernstfall wenden können, ob über eine technische Notrufmöglichkeit oder durch einen Anruf bei der Pflegedienstleitung.

4. Erste Hilfe und Nachsorge nach Gewalterlebnissen

Auch nach einem Vorfall ist professionelle Unterstützung essenziell:

  • Nachsorgeteams und kollegiale Beratung: Pflegekräfte brauchen Raum, um Erlebtes im Team oder mit externen Beratenden zu reflektieren.
  • Angebote psychosozialer Unterstützung: Gespräche mit geschulten Ansprechpersonen, ggf. auch psychologische Begleitung, tragen zur Verarbeitung bei.
  • Dokumentation und gemeinsames Vorgehen: Kritische Ereignisse werden gemeinsam analysiert, um künftig besser vorbereitet zu sein. Ziel ist ein abgestimmter Maßnahmenplan, der Sicherheit gibt

5. Hilfsmittel als Unterstützung

Kleine technische Lösungen können große Wirkung haben:

  • Taschenlampen: Eine Möglichkeit für dunkle Wege, Hauseingänge oder unübersichtliche Bereiche.
  • Sicherheitskleidung: Rutschfeste Schuhe und auf Schmuck verzichten, auch das kann im Ernstfall helfen.

Literaturhinweise

¹ Weidner, F., Dr., Tucman, D. & Jacobs, P. (2017). Studie zu „Gewalt in der Pflege“. Die Schwester der Pfleger, 9(56), 14–21.

² Mai, N. (2022). Aggression und Gewalt im ambulanten Dienst. Pflegezeitschrift, 75(8), 28–31. https://doi.org/10.1007/s41906-022-1304-y

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